09 | 05 | 2023
Kirchenumnutzungen in Basel
Passen privates Engagement und öffentliches Interesse zusammen?
Die Stimmung auf dem Theaterplatz war aufgeheizt. Rund 1000 Personen hielten Plakate in die Luft und hörten den Redner*innen zu. Diese bekundeten ihren Unmut über die neuen Besitzverhältnisse der Basler Zeitung. Die Stadt fürchtete sich vor dem Verlust eines identitätsstiftenden Mediums. Dieses Thema beschäftigte die Öffentlichkeit über Wochen.
Ein Tag nach der Demonstration auf dem Theaterplatz fand am 18. Dezember 2011 der letzte Gottesdienst im Gemeindehaus Oekolampad statt. Der Aufschrei in der Öffentlichkeit blieb aus. Kein Wunder: Immer weniger Menschen in Basel bekennen sich zu einer Religion oder gehören einer Kirche an. Aktuell sind 57 Prozent der Baslerinnen und Basler konfessionslos (siehe BaZ-Artikel (Abo) vom 6. April 2023).
Lösungen für nicht mehr genutzten Kirchenraum
Die Säkularisierung der Gesellschaft führt dazu, dass immer weniger Kirchenbauten für Gottesdienste und andere Feiern wie Taufen und Hochzeiten benötigt werden. Die Institution Kirche befindet sich in einer Negativspirale: Weniger Mitglieder bedeuten weniger Steuern. Für den kostspieligen Unterhalt von Kirchenbauten, vor allem wenn sie kaum genutzt werden, fehlt zunehmend das Geld. Es ist deshalb in den letzten Jahren zu zahlreichen Um-, Misch- und Neunutzungen von Kirchenbauten gekommen. Darin hat Basel Erfahrung.
Bereits nach der Reformation dienten Räumlichkeiten von aufgelösten Klöstern und Ordenshäusern als Waren-, Salz- oder Kornlager. Bekanntestes Beispiel ist die Barfüsserkirche im Zentrum der Stadt. Nach der Nutzung als Lagerraum gab es im 19. Jahrhundert Pläne für ein Hallenbad, den Einzug des Staatsarchivs oder eine Postfiliale. Seit 1894 dient die Barfüsserkirche dem Historischen Museum Basel als Ausstellungsort. Andere Kirchen wurden nicht-reformierten christlichen Gemeinden zur Verfügung gestellt. Die Katholik*innen erhielten im 19. Jahrhundert die Clarakirche und die Christkatholik*innen die Predigerkirche zur alleinigen Nutzung. Letztere diente während der Corona-Pandemie sogar kurzfristig als Spital.
Zahlreiche weitere nicht mehr genutzte kirchliche Gebäude erhielten neue Funktionen. Die Martinskirche dient seit über 100 Jahren als Konzertkirche, die Elisabethenkirche wird als Offene Kirche für alle, ungeachtet ihrer Herkunft, Hautfarbe, sexuellen Orientierung oder Religion, betrieben, die St. Alban-Kirche wird ausschliesslich von der serbisch-orthodoxen Gemeinde genutzt und die Pauluskirche wurde zur Kulturkirche. Aus einzelnen kirchlichen Bauten sollen Quartierzentren werden.
Neunutzung als Quartierzentrum durch private Institution finanziert
Das Gemeindehaus Oekolampad steht seit 1996 unter Denkmalschutz. Ein Abriss des Gebäudes war für die Reformierte Kirche deshalb keine Option, als sich abzeichnete, dass eine kirchliche Nutzung keinem Bedürfnis mehr entsprach. Die Räume im Gemeindehaus wurden nach 2011 an verschiedene Institutionen und Organisationen vermietet, die teilweise zwar kirchennah waren, aber keine seelsorgerischen oder kirchlichen Dienste anboten.
Als die Wibrandis Stiftung 2020 das Gemeindehaus Oekolampad kaufte, schrieb der Kirchenbote von einem «Sechser im Lotto» und die Denkmalpflege sprach in ihrem Jahresbericht 2020 von einer «glücklichen Fügung am Allschwilerplatz». Nicht nur war mit dem Verkauf der Erhalt des «städtebaulich prägnanten und identitätsstiftenden Bauwerks» langfristig gewährleistet; die Wibrandis Stiftung wird mit den neuen Nutzer*innen den Ort noch stärker als Quartierzentrum positionieren und die Verankerung im Quartier vorantreiben. Dass sich die Wibrandis Stiftung als private Institution so engagiert, ist tatsächlich bemerkenswert.
Kirchenbauten prägen das Stadtbild und stiften Identität
Kirchenbauten und ihre Plätze sind Orte des öffentlichen Lebens. Sie prägen das Stadtbild und sind damit für die Menschen identitätsstiftend. Der Erhalt der Bauten ist also nicht nur im Interesse der Kirchen oder der Denkmalpflege, sondern der gesamten Bevölkerung. Trotz aller Kreativität in der Um- und Neunutzung von Kirchen wird sich in Zukunft wohl auch der Staat am Unterhalt jener Bauten beteiligen müssen, deren Erhalt im öffentlichen Interesse ist. Dieses Szenario wurde 2020 bereits bei der Renovierung des Turms der Elisabethenkirche durchgespielt. Nebst der Reformierten Kirche beteiligten sich auch die Christoph Merian Stiftung, der Kanton Basel-Stadt und der Bund finanziell am Projekt.
Wenn in Zukunft Kirchen aus öffentlichem Interesse erhalten werden, welche Nutzung sollten sie dann haben? Der Bedarf an Kultur- und Konzertkirchen ist beschränkt. Auch können nicht alle Gebäude als Quartierzentren genutzt werden. Werden wir folglich bald unser Auto zur Reparatur in eine Garage in einer Kirche bringen? Werden wir in einem Fitnesscenter in einer Kirche Sport treiben? Würde sich die Öffentlichkeit an solchen Nutzungen stören? Die These sei gewagt: Durch die stärkere finanzielle Beteiligung oder Verpflichtung der Öffentlichkeit wird die Nutzung von Kirchenbauten intensiver debattiert werden als bisher. Eine breite Öffentlichkeit wird sich dafür interessieren, was mit den Gebäuden geschieht. Ob es deswegen auch zu Demonstrationen kommt, steht allerdings in den Sternen.
Benedikt Pfister
Lesen Sie auch die Beiträge «Wibrandis Rosenblatt» vom 15. Juni 2021 und «Ein einheitliches Ganzes» vom 30. Juni 2021.