15 | 06 | 2021
Wibrandis Rosenblatt
Managerin einer grossen Patchwork-Familie
Sie war Mutter von elf Kindern, Ehepartnerin von vier Männern, Gesprächspartnerin und Haushälterin von drei Reformatoren und managte eine grosse Patchwork-Familie. Wibrandis Rosenblatt verlor dabei viele Familienmitglieder an die Pest und fiel dieser selber zum Opfer. Einblicke in das Leben einer aussergewöhnlichen Frau:
Die Präsenz des schwarzen Tods
Die Pest wütete 1564 in Basel. Gespenstisch leblos seien die Stadt und ihre Gassen gewesen, berichtete der Zeitgenosse und Arzt Felix Platter. Gemäss Platter habe die Pestwelle im Winter 1563 im Norden begonnen und habe sich dann Rhein aufwärts ausgebreitet. In Basel fielen ihr bis Ende 1564 rund ein Drittel der 10’000 Einwohner*innen zum Opfer. Besonders gross war das Sterben in der Sommerhitze im August. Die zahlreichen Toten wurden täglich nach der Mittagszeit durch die Gassen in Massengräber gebracht. Als das Schlimmste schon vorbei schien, fiel am 1. November 1564 auch Wibrandis Rosenblatt der Pest zum Opfer.
Der Tod war ein ständiger Begleiter im Zeitalter der Pest. Der Verlust von eigenen Kindern und nahen Familienangehörigen machte vor niemandem Halt. Mit ihren elf Kindern war Wibrandis kein Einzelfall. Viele Frauen waren über Jahre immer wieder schwanger. Es ist entsprechend bemerkenswert, welche Aufgaben Wibrandis zusätzlich zu ihrer Mutterrolle als Gattin, Haushälterin und Pfarrfrau übernahm.
Mit 22 zum ersten Mal Wittwe
Wibrandis kam 1504 in Säckingen zur Welt. Ihr Vater Hans Rosenblatt war im kaiserlichen Militär engagiert und selten zuhause. Ihre Mutter Magdalena Strub stammte aus Basel. Dorthin zog die Familie ohne Vater, als Wibrandis noch ein Kind war. Hier heiratete sie mit 20 Jahren den Basler Gelehrten Ludwig Keller. Die Ehe dauerte nur zwei Jahre. Bereits mit 22 Jahren war sie das erste Mal Witwe und alleinerziehende Mutter der Tochter Wibrandis.
Basel war in jenen Jahren geprägt vom Geist der Reformation. Johannes Oekolampad, 1482 in Weinsberg in Württemberg geboren, hatte nach seinem Studium für einige Jahre in Basel gelebt, liess sich aber erst 1522 definitiv in der Stadt nieder. Als Professor gab er theologische Vorlesungen und war seit 1525 Pfarrer in der Martinskirche. Als eine Magd von Oekolampad durch einen Unbekannten geschwängert wurde, sorgte dies in der Stadt für viel Gerede.
Wibrandis macht Oekolampad zum Basler Bürger
Ein Freund von Oekolampad riet ihm deshalb, sich eine Frau zu suchen. Zwar galt immer noch das Zwangszölibat für Pfarrer, die Priesterehe begann sich aber durchzusetzen. Die Hochzeit von Johannes Oekolampad mit Wibrandis Rosenblatt 1528 war deshalb ein reformatorisches Zeichen. Erst die Anerkennung der Reformation am 1. April 1529 erlaubte die Priesterehe offiziell. Wibrandis übernahm die Leitung des gemeinsamen Haushaltes. Sie war nicht nur für die Arbeit im Haus verantwortlich, sondern besorgte auch die Bewirtschaftung der eigenen Weinberge und Rebacker vor dem Steinen- und St. Alban-Tor.
Dank Wibrandis, deren Grossvater in Basel einer Zunft angehört hatte, wurde Oekolampad 1530 Basler Bürger und in die Gartnernzunft aufgenommen.
Das Pfarrhaus als Ort der Wohltätigkeit
Die Pfarrhäuser jener Zeit waren Orte der Begegnung und des Austauschs. Durchreisende Theologen und Studenten erhielten Verpflegung und Unterkunft. Witwen, Waisen und Glaubensflüchtlinge fanden im Pfarrhaus Zuflucht und Unterstützung. Dabei war Wibrandis als reformierte Pfarrfrau nicht nur Haushälterin, sondern auch Gesprächspartnerin und Gemeindearbeiterin. Sie machte das Pfarrhaus zum «Ort der Wohltätigkeit» und arbeitete am «intellektuellen Netzwerk unter den Reformierten mit», wie die Historikerin Susanna Burghartz in ihrem Artikel zu Wibrandis Rosenblatt (als Gattin der Reformatoren) schreibt.
Die Rolle der reformierten Pfarrfrau als «Gefährtin» behielt Wibrandis auch nach dem Tod Oekolampads 1531 bei. Noch im gleichen Jahr heiratete sie mit Wolfgang Capito einen weiteren Reformatoren und Freund von Oekolampad. Capitos Frau war kurz davor an der Pest gestorben. Wibrandis zog mit ihren Kindern und der Mutter nach Strassburg zu Capito. Zehn Jahre führte sie den Haushalt und schenkte fünf weiteren Kindern das Leben. Die Pestwelle von 1541 traf Strassburg und die Familie von Wirbrandis heftig. Ehemann Wolfgang fiel ihr ebenso zum Opfer wie der 13-Jährige Eusebius, ältester Sohn aus der Ehe mit Oekolampad, sowie die sechsjährige Dorothea und der dreijährige Wolfgang, beides gemeinsame Kinder mit Capito.
Der Strassburger Reformator Martin Butzer hatte in jener Pestwelle seine Frau verloren. Die Familien Butzer und Capito waren befreundet. Schnell schlossen sich die Überlebenden der beiden Familien 1542 zu einer weiteren Patchwork-Familie zusammen. Nach sechs Jahren wurde die Familie wieder getrennt, weil Butzer Strassburg aus religionspolitischen Gründen verlassen musste. In seiner neuen Heimat Cambridge in England arbeitete er als Theologieprofessor. Als Butzer gesundheitliche Probleme bekam, zog Wibrandis mit der Familie nach. Sie pflegte und unterstützte ihren Gatten nach Kräften. Nach seinem Tod 1551 kehrte sie nach Strassburg zurück. Als im Frühling 1553 die Pest Strassburg erneut bedrohte, entschied sie sich für den Umzug nach Basel.
Letzte Ruhe im Münster
Als Grossfamilie mit den überlebenden Kindern Agnes, Johannes Simon und Irene Capito sowie Elisabeth Butzer, ihrer alten Mutter und ihrer Nichte Margaretha Rosenblatt lebte sie in Basel ohne nochmals zu heiraten. Nach ihrem Tod 1564 wurde Wibrandis Rosenblatt im Kreuzgang des Basler Münsters neben ihrem zweiten Ehemann Johannes Oekolampad begraben. Auf dem Epitaph fehlt ihr Name. In der Wibrandis Stiftung hingegen lebt dieser weiter.
Die Ehen und Kinder von Wibrandis Rosenblatt
Ludwig Keller, verheiratet von 1524 bis 1526, ein Kind:
- Tochter Wibrandis
Johannes Oekolampad, verheiratet von 1528 bis 1531, drei Kinder:
- Sohn Eusebius (1528-1541, an der Pest gestorben)
- Tochter Irene (1530 geboren, als Kleinkind verstorben)
- Tochter Aletheia (1531 geboren)
Wolfgang Capito, verheiratet von 1531 bis 1541, fünf Kinder:
- Tochter Agnes (1533 geboren)
- Tochter Dorothea (1535-1541, an der Pest gestorben)
- Tochter Irene
- Sohn Johannes Simon (1537 geboren)
- Sohn Wolfgang (1538-1541, an der Pest gestorben)
Martin Butzer, verheiratet von 1542 bis 1551, zwei Kinder:
- Sohn Martin (1543 geboren, als Kleinkind verstorben)
- Tochter Elisabeth (1545 geboren)
Benedikt Pfister
Lesen Sie auch die Beiträge «Kirchenumnutzungen in Basel» vom 9. Mai 2023 und «Ein einheitliches Ganzes» vom 30. Juni 2021.